- Reinecke Fuchs
- Reinecke Fuchs,Reineke Fuchs, Reinhart Fuchs, Gestalt der Tierdichtung, um die sich in mehreren Traditionssträngen folgende Erzählungen lagern: 1) Ysengrimus, 2) Roman de Renart, 3) Van den vos Reinaerde, 4) Reynke de vos, 5) Reinhart Fuchs. Der ursprüngliche Name des Fuchses ist Reinhart (im Sinne von »der wegen seiner Schlauheit Unüberwindliche«), so erstmals im lateinischen »Ysengrimus« (Mitte 12. Jahrhundert) des Nivardus von Gent, der u. a. antike Tierfabeln (Aisopos, Avianus) heranzieht. Direkt weitergewirkt hat jedoch der altfranzösische »Roman de Renart« von Pierre de Saint-Cloud (12. Jahrhundert) und mehreren anonymen Verfassern, dessen älteste der 27 Tiergeschichten (Branchen) bis 1174 zurückreichen. Er basiert überwiegend auf dem »Ysengrimus« sowie auf dem anonymen lateinischen Tierepos »Ecbasis cuiusdam captivi« (1043 bis 1046). Das mittelniederländische Gedicht »Van den vos Reinaerde« (um 1250), der »Reinaerde I«, folgt weitgehend der Branche I des »Roman de Renart«, die vom Hoftag des Königs Noble berichtet, an dem die Tiere ihre Klagen gegen den hinterhältigen Fuchs Renart vorbringen, von der Ladung Renarts und der Gerichtsverhandlung gegen ihn sowie von seiner List, mit der er den König für sich gewinnt. Diese Geschichte wurde um 1375 im »Reinaerde II«, der »Reinaerts Historie«, neu gefasst und nach der Branche IV des »Roman de Renart« erweitert. Auf dieser mittelniederländischen Version des »Reinaerde II«, und zwar in der moraltheologisch glossierten Fassung des Hinrek van Alkmar (gedruckt Antwerpen um 1487), fußt in den Büchern II-IV der anonyme mittelniederdeutsche Versroman »Reynke de vos«, der 1498 in Lübeck gedruckt wurde. Es handelt sich um eine Parodie der höfischen Gesellschaft, um einen satirischen Fürstenspiegel, worauf bereits M. Luther hinweist. Diese Erzählung wurde immer wieder aufgelegt, neu bearbeitet und in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt (erste hochdeutsche Übersetzung Frankfurt am Main 1544; lateinische Übersetzung 1567); in der Prosaübersetzung J. C. Gottscheds (1752) liegt sie auch Goethes »Reineke Fuchs« (1794) zugrunde. Während im »Roman de Renart« - und seiner mittelniederländischen und mittelniederdeutschen Rezeption - der Fuchs als Schelmenfigur der Kritik an der Gesellschaft (v. a. Fürsten und Klerus) dient, wird er im »Reinhart Fuchs«, den ein elsässischer Dichter Heinrich der Glichesaere nach 1192 oder schon um 1162/65 in vierhebigen höfischen Reimpaaren schuf, zur Inkarnation des Bösen. Heinrich folgt weitgehend dem »Roman de Renart«; wo er jedoch ändert, zeigt er sich eigenständig und zielstrebig, dabei pessimistisch und antistaufisch, indem er historische Ereignisse geißelt und die Handlung konsequent auf die Vergiftung des Königs der Tiere, des Löwen, durch Reinhart zulaufen lässt. Die Fabel entzieht sich in ihrer Mehrschichtigkeit einer einfachen Deutung, doch geht die Forschung seit G. Baesecke von einer antistaufischen Tendenz des - vermutlich im Dienste der Zähringer verfassten - Textes aus.Ausgaben: Ysengrimus: Ysengrimus, herausgegeben von J. Mann (1987).Roman de Renart: Le roman de Renart, herausgegeben von E. Martin, 3 Bände (1882-87, Nachdruck 1973); Le roman de Renart, herausgegeben von M. Roques, 6 Bände (1948-63).Van den vos Reynaerde: Van den Vos Reynaerde, herausgegeben von W. G. Hellinga (1952); Van den Vos Reinaerde, herausgegeben von D. C. Tinbergen (Neuausgabe 1979); Reynaerts historie. Reynke de Vos. Gegenüberstellung einer Auswahl aus den niederländischen Fassungen und des niederdeutschen Textes von 1498, herausgegeben von J. Goossens (1983).Reynke de vos: Reinke de Vos, herausgegeben von A. Leitzmann (31960); Reinecke Fuchs. Das niederdeutsche Epos Reynke de Vos von 1498, übersetzt von K. Langosch (1967, Nachdruck 1984); Reynke de Vos. Nach der Lübecker Ausgabe von 1498, herausgegeben und übersetzt von H. J. Gernentz (1987).Reinhart Fuchs: Reinhart Fuchs, herausgegeben von K. Reissenberger (21908); Das mittelhochdeutsche Gedicht vom Fuchs Reinhart, herausgegeben von G. Baesecke (21952); Heinrich der Glichesaere: Fuchs Reinhart, herausgegeben von W. Spiewok (1977); Der mittelhochdeutsche Reinhart Fuchs, herausgegeben von D. Ehrismann (1980); Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich, herausgegeben von K. Düwel (1984); Reinart Fuchs, übersetzt von A. Berteloot u. a. (Neuausgabe 1987); Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs, herausgegeben und übersetzt von K.-H. Göttert (Neuausgabe 1995).Reynært, Reynard, Reynke: Studien zu einem mittelalterl. Tierepos, hg. v. J. Goossens u. a. (1980);A. Schwob: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mhd. Tierepos vom »Fuchs Reinhart« u. im Märe vom »Helmbrecht«, in: Zur gesellschaftl. Funktionalität mittelalterl. dt. Lit. (Greifswald 1984);Reinardus. Yearbook of the International Reynard Society (Den Haag 1988 ff.).
Universal-Lexikon. 2012.